Viehhaltung jeder Art steht heute extrem in der Kritik.
Der Blick auf die Geschichte der Beziehung von Menschen und Rindern enthüllt jedoch, dass sie die Grundlage unserer Kultur ist. Die Frage ist, was verlieren wir, wenn wir keine Tiere mehr halten?
In diesem Buch wird ein Katalog ursprünglicher Kulturen aufgeblättert, von den Felsbildern der Sahara, die uns die Domestizierung wandernder Herden aufzeigen, über die Mythen sumerischer und
ägyptischer Kuhgöttinnen bis zu den schönen Kühen des Zeus und dem Ochsen im Stall von Jesu Geburt. Eingebettet ist alles in die Kindheitsgeschichte der Autorin, die mit der Milchkuhherde des
elterlichen Bauernhofes aufwuchs und arbeitete, hinzukommen Reportagen aus der Gegenwart ihres Neffen, der diesen Betrieb heute bewirtschaftet.
Aber die Autorin ist auch über die Dörfer gegangen und hat sich viele Arten, Rinder zu halten, angesehen. Sie hat Mensch und Tier beobachtet, eine Rinderklinik besucht und auch über Fragen der Viehnahrung, Schlachtung und des Klima- und Artenschutzes nachgedacht.
„Sie sagen, dass die Viehhaltung verschwindet. Zeichnen Sie da nicht ein sehr düsteres, pessimistisches Bild?
Pessimistisch – das sagen Sie. Andere würden möglicherweise sagen: optimistisch. Die fänden es wunderbar, wenn wir kein Fleisch mehr essen und den Boden für
etwas anderes nutzen oder ‚der Natur zurückgeben‘, wie es heute genannt wird. Verboten wird die Viehhaltung sicherlich nicht. Aber sie so wird stark reguliert, dass immer mehr Landwirte
aufgeben.“
(Interview mit Christian Mangels in der Niederelbe Zeitung v. 29.07.23)
„Ruge ist Tochter, Schwester und Tante von Bauern in Niedersachsen. Kindheitserinnerungen an den warmen Leib, die Ruhe der Wiederkäuer, die schwingenden Euter, aber auch die permanente Arbeit und
der Gestank gehören dazu… Ruges Buch ist jedoch alles andere als Retroromantik oder Gegenwartsblues… Sie will eine Zukunft sehen für Mensch und Tier.“ (Andrea
Seibel, WELT am Sonntag, 06.08.2023)
Leseproben finden Sie unter:
https://www.kunstmann.de/buch/uta_ruge-die_kuehe-_mein_neffe_und_ich-9783956145650/t-34/
und
https://www.perlentaucher.de/vorgeblaettert/leseprobe-zu-uta-ruge-die-kuehe-mein-neffe-und-ich.html
Aus dem 1. Kapitel (Heute):
„Seit ein paar Tagen stehe ich morgens um sechs zusammen mit allen anderen auf, um zu sehen, zu hören, zu riechen, wie sich Landwirtschaft heute anfühlt auf dem Hof, auf dem ich aufgewachsen bin.
Ich ziehe die Stallklamotten an und gehe nach draußen. Erst nach ein paar Tagen fällt mir auf, dass ich hier den Blick nicht heben muss, um den Himmel zu sehen. Kein Haus ist im Weg. Und ob es
regnet oder bald regnen wird, wie der Wind geht, ist sofort gewusst, in Auge und Ohr und Nase eingeströmt.
Ich gehe mit ihnen in den Stall, aber ich laufe nur so mit – mal mit meiner Schwägerin Anna, die für die Kälber verantwortlich ist, mal mit meinem Bruder, der im alten Melkstand steht, mal mit
ihrem Sohn Hannes, der für die Fütterung sorgt und den Roboter kontrolliert. Helfen kann ich nicht, denn kein Handgriff ist noch so, wie ich ihn kannte.“
Aus dem 5. Kapitel (18. Jahrhundert)
„‘So stieg ich durch alle Stände aufwärts‘, schrieb Goethe 1780 an einen Freund, sehe den Bauersmann der Erde das Nötigste abfordern, das doch auch ein behägliches Auskommen wäre, wenn er nur für
sich schwitzte. Du weißt aber, wenn die Blattläuse auf den Rosenzweigen sitzen und sich hübsch dick und grün gesogen haben, dann kommen die Ameisen und saugen ihnen den filtrierten Saft aus den
Leibern. Und so geht’s weiter, und wir haben es so weit gebracht, dass oben immer in einem Tag mehr verzehrt wird, als unten in einem beigebracht werden kann‘.“
Goethe war als Minister selbst Teil der oberen Stände. Er kannte aus eigener Anschauung das luxuriöse Leben der Adeligen am Hofe, gehörte sozusagen selbst zu denen, die den Blattläusen, also den
Bauern, den Saft abzapften."
Aus dem ersten „Zwischenspiel“:
„Krischan und ich haben uns vorgenommen, uns regelmäßig zu treffen und über Bäuerlichkeit und Landwirtschaft zu sprechen. Die wachsende Kritik an der modernen Agrarwirtschaft hat uns immer mehr
aufgebracht – zumal ja kaum einer kannte, worüber er sprach und nichts wusste über landwirtschaftliches Leben und Arbeiten, über Ackerbau und Viehwirtschaft.
Wir verabreden Lektüren, besuchen Museen, gehen in Galerien und ethnologische Sammlungen. Wir suchen nach Spuren des Agrarischen in unserer Kultur, forschen nach Elementen des Bruchs zwischen dem
Städtischen und dem Ländlichen, zwischen Damals und Heute.
Wir fragen uns, um welches ‚Damals‘ es eigentlich geht.
Wann ist für Stadtbewohner Landwirtschaft noch akzeptabel gewesen?“